Karlsruhe hat gesprochen: Die Beratungshaftung für Banken, die ihre Kunden bei Abschluss eines Derivates nicht über einen einstrukturierten negativen Marktwert aufklären, wurde durch die heutige BGH-Entscheidung erheblich aufgeweicht.
In meinem Beitrag vom 18.01.2015 hatte ich noch erwartet, dass der BGH zwar eine derartige Haftung bestätigt, durch die Verlegung seiner Entscheidung ins Jahr 2015 jedoch den Banken insofern unter die Arme greift, als bisher noch nicht gerichtlich geltend gemachte Haftungsansprüche aus Altderivaten am 31.12.2014 verjährt sind.
Ein solches Vorgehen hätte den Charme gehabt, dass Banken vor einer unkalkulierbaren Klageflut bislang unentschlossener Geschädigter geschützt worden wären und gleichzeitig eine disziplinierende Wirkung auf zukünftige Vermarktungsaktivitäten und Margengestaltung im Derivatehandel mit deutschen Kontrahenten erzielt worden wäre.
Jubel nicht nur bei Investmentbanken
Stattdessen werden nun in den Handelsräumen der in Deutschland tätigen Großbanken die Champagner-Korken knallen. Denn mit der Rückbesinnung des BGH in Richtung caveat emptor dürfen auch in Deutschland tätige Investmentbanken ab sofort wieder ans große All-You-Can-Eat Derivate-Buffet – sofern es sich nicht gerade um einen CMS Spread Ladder Swap handelt, der haargenau auf das damalige BGH-Urteil aus dem Jahr 2011 passt.
Für alle Zinsderivate, die weniger komplex strukturiert sind – und das dürften über 90% der Geschäfte sein – müssen Kontrahenten nunmehr bankenunabhängige Spezialisten beauftragen, wenn sie wissen wollen ob die in einem Derivat unterbreiteten Konditionen akzeptabel sind. Was derartige Experten angeht, die erstens wirklich Experten sind und zweitens nicht irgendwie doch mit mindestens einem Fuß im Lager der Banken stehen, fallen mir weniger als eine Handvoll ein. Damit dürfte auch der zweite große Gewinner des Tages feststehen – nämlich genau diese Anbieter bankenunabhängiger Derivatberatung.
SOS wird derweil von den bisherigen Klägern gefunkt. Gerade nach der Abwertung des Euro gegen den Schweizer Franken sind synthetische Franken-Darlehen, die mit Hilfe eines EUR/CHF Cross-Currency-Swaps erzeugt worden sind, ein noch teureres Finanzierungsunterfangen geworden.
Eckpunkte des heutigen BGH-Urteils
Da der BGH die Urteilsabschrift noch nicht publiziert hat, stehen lediglich Pressemeldungen zur Verfügung, um die Hintergründe der Entscheidung auszuleuchten. Erfahrungsgemäß sind derartige Mitteilungen zu oberflächlich für eine tiefergehende Analyse. Es deutet sich aber bereits an, dass der BGH einige Pirouetten drehen musste, um sich der Geister zu entledigen, die er mit seinem “Ille-Urteil” aus dem Jahr 2011 gerufen hatte:
Verhältnismäßigkeit zwischen versteckter Bankmarge und “Gewinnchancen”
In seinem neuen Urteil zielt der BGH darauf ab, dass eine bei Abschluss versteckt einstrukturierte Bankmarge jedenfalls dann vertretbar ist, wenn sie nicht im deutlichen Missverhältnis zu den Gewinnchancen des Derivats steht. Das mag einleuchten – das Problem ist nur, dass diese Feststellung für den 2011 strittigen CMS Spread Ladder Swap genauso gegolten hätte. Damals konnte man aus Karlsruhe ganz andere Töne vernehmen:
Dabei spielt es […] keine Rolle, ob die einstrukturierte Gewinnmarge der Beklagten marktüblich ist und die Erfolgschancen des Kunden nicht wesentlich beeinträchtigt. [BGH Urteil vom 22.03.2011, Az. XI ZR 33/10, Rn. 64 nach openjur.de]
Derselbe Senat stellte 2011 fest, dass die anfänglich einstrukturierte Marge sich auf ca. 80 Tsd. EUR oder 4% des Bezugsbetrags belaufen habe. Abgesehen davon, dass die Relation der versteckten Marge zum Bezugsbetrag zwar bei Richtern extrem beliebt aber dennoch völlig ungeeignet für eine Angemessenheitsbeurteilung ist, ergibt sich hieraus noch eine weitere spannende Frage:
Ab wann ist eine versteckt einstrukturierte Marge in einem Derivat eigentlich unangemessen? Auch hier hat das neue Urteil offenbar nur wenig zu bieten: Es wird auf das Verhältnis zu den dem Produkt innewohnenden “Gewinnchancen” abgezielt. Nur wie sollen diese ermittelt werden, um zu einer aussagekräftigen Beurteilung der Marge zu kommen? Derartig wabernde Begriffe war man eigentlich bislang nur aus den Produktwerbebroschüren der Banken gewohnt, nicht jedoch vom BGH.
Wirkung der versteckten Marge nicht anders als bei “sonstigen Finanzprodukten”
Nach der Urteilszusammenfassung bei der DATEV führt der BGH ferner aus, dass eine einstrukturierte Marge dann für den Kunden als Verlust sichtbar wird, wenn er sofort nach Abschluss wieder eine Auflösung des Geschäfts vornimmt. Folgerichtig müsse der Kunde mit dem Derivat zunächst die Bruttomarge der Bank erwirtschaften, um in die Gewinnzone zu kommen. Die einstrukturierte Marge, die insbesondere bei außerbörslich gehandelten Produkten üblich sei, habe somit dieselbe ökonomische Wirkung wie bei “anderen Finanzprodukten”, bei denen auch nicht über die Marge aufzuklären sei.
Was genau mit “anderen Finanzprodukten” gemeint ist, lässt der ansonsten so auf sprachliche Präzision gedrillte BGH offen. Aus der vorangehenden Abgrenzung des strittigen Swaps als außerbörslich gehandeltes Derivat darf jedoch geschlossen werden, dass der BGH bei seiner Analogie börsengehandelte Instrumente im Auge hatte. Hätte er diese explizit erwähnt, wäre wohl auch die Schwachstelle der Argumentation allzu schnell offensichtlich geworden: Bei börsengehandelten Instrumenten (wie z.B. Aktien) erübrigt sich eine Aufklärung über die Abschlussmarge schon deshalb, weil der Kunde den Börsenpreis selbst beobachten und die Abschlusskosten durch einfache Differenzbildung zwischen Brief- und Geldkurs ermitteln kann. Diese Möglichkeit besteht bei außerbörslich gehandelten Derivaten aber gerade nicht.
Auch bei diesem Argumentationsstrang stellt sich zudem die Frage, weshalb die Richter knapp vier Jahre benötigt haben, um zu einer so unspektakulären Erkenntis zu gelangen. Auch bei der 2011 strittigen CMS Spread Ladder hätte der Kunde zunächst die Bankmarge am Markt verdienen müssen, um mit dem Geschäft in die Gewinnzone zu kommen.
Kein Interessenkonflikt, wenn beratende Bank nicht Kontrahentin im Derivat ist
Der dritte bisher in der Presseberichterstattung aufgegriffene Aspekt (ebenfalls zu finden in der besagten DATEV Mitteilung) ist für mich der einzige Punkt, in dem eine Abgrenzung vom BGH-Urteil 2011 zumindest formal einigermaßen gelingt.
Der für den Kunden verlustreiche CMS Spread Ladder Swap, der dem Urteil von 2011 zugrunde lag, wurde seinerzeit von einem mittelständischen Unternehmen mit der Deutschen Bank abgeschlossen. Beratendes Institut und Kontrahent des Kunden im Derivat fielen also in diesem Fall zusammen.
Im aktuellen Nürnberger Cross-Currency-Swap lag hingegen eine Dreieckskonstellation vor: Ein Geschäftsmann hatte eine Sparkasse um ein Angebot für einen Cross-Currency-Swap ersucht und wurde von der Sparkasse an die LBBW vermittelt, die als Kontrahentin des Kunden beim Derivat auftrat. Nachdem das Geschäft sich für den Kunden verlustträchtig entwickelt hatte, verklagte der Kunde seine Sparkasse auf Schadensersatz, da diese ihn nicht über die einstrukturierte Marge aufgeklärt habe.
Der zentrale Tatbestand, der 2011 die Schadensersatzhaftung der Deutschen Bank ausgelöst hatte (und später auf das Schlagwort “nicht offengelegte einstrukturierte Marge” reduziert wurde), bestand in folgendem Interessenkonflikt:
- Eine Bank rät einem Kunden zu einer Kapitalmarktwette in Form eines Derivats,
- verschweigt dem Kunden jedoch, dass sie das Chance-Risiko-Profil der Wette so manipuliert hat, dass der Markt den kundenseitigen Wert des Derivats negativ sieht,
- und deckt sich am Markt mit dem Derivat zu nicht-manipulierten Konditionen wieder ein, um so spiegelbildlich den kundenseitig negativen Marktwert zu vereinnahmen.
Kernelemente des Interessenkonfliktes im Urteil aus dem Jahr 2011 sind also die Empfehlung einer rechnerisch manipulierten Kapitalmarktwette und die Möglichkeit, aus dieser Empfehlung einen Gewinn zu erzielen.
Einem solchen Interessenkonflikt konnte die beratende Sparkasse im heute verhandelten Fall aber nicht unterliegen. Denn wie der BGH nachvollziehbar argumentiert, hatte ja nur die LBBW – nicht aber die beklagte Sparkasse – die Möglichkeit, den negativen Marktwert zu vereinnahmen.
Auch diese Argumentationssäule wirft allerdings mehr als nur eine Folgefrage auf:
- Wie unverbunden müssen beratendes Institut und kontrahierendes Dachinstitut sein, damit eine Interessendivergenz i.S.d. heutigen BGH-Urteils dazu führt, dass die Pflicht zur objektgerechten Beratung erfolgreich verwässert wird?
Immerhin kann man beim Urteil im Jahr 2011 auch nicht davon ausgehen, dass sich der Kunde direkt an den Hauptsitz der Deutschen Bank in Frankfurt gewendet hat. Er wird die damalige CMS Spread Ladder vielmehr durch Vermittlung der – rechtlich selbständigen – örtlichen Niederlassung der Deutschen Bank getätigt haben. Umgekehrt könnte man argumentieren, dass sowohl die LBBW als auch die Sparkasse zur S-Gruppe gehören, die Sparkasse ggf. sogar eine Beteiligung an der Landesbank hält. - Hätte der Kunde mit seiner Klage Erfolg gehabt, wenn er sie gegen die LBBW und nicht gegen die vermittelnde Sparkasse gerichtet hätte? Auch die LBBW war spätestens mit Andienung des Rahmenvertrags zur objekt- und kundengerechten Beratung verpflichtet.
- Wäre das Urteil auch so ausgefallen, wenn die Sparkasse gewusst hätte, dass die LBBW eine versteckte Marge in das Geschäft einstrukturiert oder – gar in verschärfter Komplizenschaft – ohne Wissen des Kunden einen Anteil der LBBW Marge ausgezahlt bekommen hätte? Verdeckte Retrozessionen wurden bislang von BGH und Oberlandesgerichten regelmäßig als Paradebeispiel für Interessenkonflikte gesehen.
- Würden Privatbanken gegenüber öffentlichen Banken und Genossenschaftsbanken durch diese formaljuristische Auflösung des Interessenkonfliktes nicht tendenziell benachteiligt? Immerhin müsste ein Institut wie die Deutsche Bank oder die Commerzbank bei einem identischen Sachverhalt damit rechnen, dass ihr eine Interessenkollision angelastet wird, während eine Volksbank oder Sparkasse dank ihrer Verbandsstruktur sich auf das heutige BGH-Urteil zurückziehen könnte.